Impuls vom 01.08.2020

Schatz und Perle

Mt 13,44-46:
Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der in einem Acker vergraben war. Ein Mann entdeckte ihn und grub ihn wieder ein. Und in seiner Freude ging er hin, verkaufte alles, was er besaß, und kaufte den Acker.
Auch ist es mit dem Himmelreich wie mit einem Kaufmann, der schöne Perlen suchte.
Als er eine besonders wertvolle Perle fand, ging er hin, verkaufte alles, was er besaß, und kaufte sie.


Liebe Christinnen, liebe Christen!
In Märchen kommt das alles vor: vergrabene Schätze, wertvolle Perlen, und vor allem Menschen, die bereit sind, alles zu geben und ihr ganzes Leben über den Haufen zu werfen, um das eine Wunderbare und Kostbare zu finden. - Kommt das nur in Märchen vor?
Aber nein! Ich glaube nicht, dass hier jemand sitzt, der so etwas nicht kennen würde.
Da gibt es vielleicht einen Menschen, der für Sie wirklich jeden Einsatz wert ist. Vielleicht nennen Sie ihn sogar so: mein Schatz.
Da sind gewiss Eltern hier, die für ihr Kind nahezu alles geben würden, wenn es erforderlich ist, ohne überhaupt groß darüber nachdenken zu müssen.
Und kennen nicht die meisten von uns die wunderbare Erfahrung, die die Bibel im Buch Jesus Sirach so ausdrückt: „Ein treuer Freund ist ein starker Schutz, wer ihn findet, hat einen Schatz gefunden. Für einen treuen Freund gibt es keinen Gegenwert, seine Kostbarkeit lässt sich nicht aufwiegen.“ (Sir 6,14f.)
Ja, für die Liebe gibt es das, was in seiner Kostbarkeit durch nichts aufzuwiegen ist. Das kann auch eine Sache sein, für die man ganz und gar brennt. Dass – um nur ein kleines Beispiel zu nennen – in den Corona-Monaten das gemeinsame Singen und Musizieren fast unmöglich war und großteils immer noch ist, ist für manche ganz schrecklich. Das kann einer ohne diese Liebe gar nicht verstehen. Aber wer wirklich auf den Geschmack gekommen ist, möchte ohne Musik einfach nicht sein.

„Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der in einem Acker vergraben war …“ Schon die ersten Christen haben dieses Gleichnis so gelesen, dass mit dem Schatz und der Perle nur der gemeint sein kann, der das Himmelreich in Person ist. Bereits im 2. Jahrhundert wird gepredigt: „Diesen Jesus habt ihr, Brüder, die Tür, das Licht, … die Perle, den Schatz … Dieser ist alles“ (ActPetr20).
Aber kann man im 21. Jahrhundert noch so predigen? Oder anders gefragt: Sind wir so auf den Geschmack gekommen, dass wir ohne diesen Jesus Christus einfach nicht sein mögen?
Die meisten Menschen können scheinbar recht gut ohne ihn sein. Wir müssen uns als Kirche und Pfarrgemeinde eingestehen, dass vieles, auf das wir uns jahrzehnte- und jahrhundertelang verlassen haben, einfach nicht mehr trägt. Ist der Schatz unauffindbar geworden?
Ich selbst, wenn ich heute ausnahmsweise einmal persönlich werden darf, frage mich das natürlich auch: 20 Jahre gegraben und wenig zu Tage gebracht? Höchste Zeit, die Schaufel weiterzugeben, vielleicht überhaupt mit neuem Arbeitsgerät und anderen Grabungsmethoden an die Sache heranzugehen?

Das mit der „höchsten Zeit“ stimmt sicherlich, aber wenn ich das Bild so presse, nehme ich mich und alle anderen „Schatzgräber“ wahrscheinlich viel zu wichtig. Denn der Clou an Jesu Gleichnis ist ja, dass dieser Schatz und diese Perle auf alle Fälle da sind! Christus ist in dieser Welt! Wir müssen den Schatz nicht „machen“, die Perle nicht einmal polieren. Wir müssen sie nur glänzen lassen, damit Menschen ihre Schönheit sehen und sich von so viel Schönheit und Freude mitreißen lassen.
Wahrlich nicht alles, was wir als Kirche sagen und tun, ist tatsächlich schön. Wir geben uns oft, als wären wir nur aus Moral und Tradition und ganz viel Zweck und Nutzen zusammengesetzt. Ich kann es manchmal verstehen, dass das auf viele Menschen wenig anziehend, ja bisweilen sogar abstoßend wirkt.
Aber das andere, den Glanz, den gibt es doch auch, auch bei uns:
Da gibt es eine Freude an der Liturgie, die an sich ja völlig nutzlos ist, aber alles andere als sinnlos.
Da gibt es eine menschliche Nähe, die das Reden von „christlicher Gemeinschaft“ nicht zur hohlen Phrase macht.
Da gibt es einen Dienst am Nächsten, der in dessen Gesicht – und zwar ganz egal wer er ist oder woher er kommt – das Antlitz Christi entdeckt.
Da gibt es Menschen, die sich selbst nicht so furchtbar wichtig nehmen, sondern einfach, wie Jesus im Gleichnis sagt, „vor Freude hingehen“.
Und vor allem: Da gibt es Menschen, die nicht schon alles wissen und haben, sondern immer noch neugierig, immer noch auf Schatzsuche sind. Und dann ist es wie mit einem Edelstein, den man immer wieder drehen und wenden kann und immer wieder bricht sich das Licht neu und ist er in anderer Weise faszinierend. Und nie kommt man an ein Ende damit, und immer mehr kommt man auf den Geschmack …

Ja, das alles gibt es auch bei uns in Geisenfeld, und wie dankbar bin ich dafür. Aber ich sollte jetzt langsam lernen, umzudenken und zu sagen: Das gibt es bei euch in Geisenfeld. Mein Gastspiel hier geht zu Ende. Und natürlich fragt man sich zum Schluss, ob man wohl etwas zum „Glanz“ beigetragen hat …
Bei solchen Anlässen wie dem heutigen wird die Wirklichkeit ja doch oft ein wenig ausschnitthaft präsentiert. Von Bismarck gibt es das böse Wort, dass niemals so viel gelogen wird wie vor der Wahl, nach der Jagd und bei Verabschiedungen.
Ich selbst neige, so glaube ich, weniger dazu, mir die Dinge schön zu reden. Meine Grenzen und Mängel sind mir mit jedem Jahre meines Pfarrerseins mehr bewusst geworden. Aber dann habe ich mich manchmal von einem Gedicht trösten lassen, das die große Hilde Domin geschrieben hat. Mit Lyrik habe ich Euch ja öfter belästigt; lasst es mich heute bitte noch einmal tun. „Wie wenig nütze ich bin“, überschreibt Hilde Domin ihre Zeilen:

Wie wenig nütze ich bin,
ich hebe den Finger und hinterlasse
nicht den kleinsten Strich
in der Luft.

Die Zeit verwischt mein Gesicht,
sie hat schon begonnen.
Hinter meinen Schritten im Staub
wäscht Regen die Straße blank
wie eine Hausfrau.

Ich war hier.
Ich gehe vorüber
ohne Spur.
Die Ulmen am Weg
winken mir zu wie ich komme,
grün blau goldener Gruß,
und vergessen mich,
eh ich vorbei bin.

Ich gehe vorüber –
aber ich lasse vielleicht
den kleinen Ton meiner Stimme,
mein Lachen und meine Tränen
und auch den Gruß der Bäume im Abend
auf einem Stückchen Papier.

Und im Vorbeigehn,
ganz absichtslos,
zünde ich die ein oder andere
Laterne an
in den Herzen am Wegrand.

Liebe Pfarrgemeinde Geisenfeld,
wie das nun genau ist mit der Schönheit und dem Glanz und den „Laternen in den Herzen am Wegrand“, wie das bei mir ist und bei Ihnen und bei uns allen, das beurteilt Gott sei Dank ein anderer.
Sicher ist: Pfarrer kommen und gehen – die Gemeinde bleibt. Und vor allem: Jesus Christus bleibt. Hört bloß nicht auf, ihn zu suchen, diesen wunderbaren Schatz!