Impuls vom 25.09.2018

Missbrauch ist ein Verbrechen

Die Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ führt uns deutlich und klar vor Augen, dass die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger in der katholischen Kirche längst keine überwundene Thematik ist. Die Studie nimmt einen tiefen Blick in die Vergangenheit vor.

In aller Klarheit sage ich: Sexueller Missbrauch ist ein Verbrechen. Wer schuldig ist, muss bestraft werden. Allzulange ist in der Kirche Missbrauch geleugnet, weggeschaut und vertuscht worden. Für alles Versagen und für allen Schmerz bitte ich um Entschuldigung. Ich schäme mich für das Vertrauen, das zerstört wurde; für die Verbrechen, die Menschen durch Amtspersonen der Kirche angetan wurden; und ich empfinde Scham für das Wegschauen von vielen, die nicht wahrhaben wollten, was geschehen ist und die sich nicht um die Opfer gesorgt haben. Das gilt auch für mich. Wir haben den Opfern nicht zugehört.
All das darf nicht folgenlos bleiben! Die Betroffenen haben Anspruch auf Gerechtigkeit.

Seit 2010 haben wir uns in der Deutschen Bischofskonferenz selbst verpflichtet und dazu auch entsprechende Maßnahmen ergriffen, um eine bedingungslose Orientierung an den Opfern zur ersten Priorität zu machen und weitere Opfer zu verhindern. Ich frage mich aber: Reicht das, was wir tun? Den Opfern sexueller Gewalt muss Gerechtigkeit widerfahren. Wir spüren, dass es dringend notwendig ist, auf die Betroffenen zuzugehen und zuzuhören, um zu verstehen. Wir wollen nicht an den Betroffenen vorbei sexuellen Missbrauch in der Kirche bekämpfen. Wir müssen ein Klima schaffen, in dem auch andere den Mut fassen, ihr Leid und ihre Verletzungen aufzuarbeiten.

Wir haben zu lange weggeschaut, um der Institution willen und des Schutzes von uns Bischöfen und Priestern willen. Wir lassen Machtstrukturen zu und haben meist einen Klerikalismus gefördert, der wiederum Gewalt und Missbrauch begünstigt hat. Unsere Selbstverpflichtungen von 2010 konnten wir zum Teil einlösen, aber wir sind damit nicht am Ende, sondern die Ergebnisse dieser Studie zeigen klar auf, dass wir weitergehen müssen. Die Auseinandersetzung mit sexueller Gewalt im Raum der Kirche fordert weiterhin unser engagiertes und überzeugendes Handeln.

Nochmals: Als Kirche stehen wir in der Verantwortung und müssen Verantwortung übernehmen. Als Kirche wollen wir neues Vertrauen aufbauen und nicht enttäuschen. Ich weiß, dass das schwer ist. Ich verstehe viele, die sagen: Wir glauben euch nicht. Ich hoffe sehr, dass wir Vertrauen zurückgewinnen können. Und, um es klar zu sagen, es geht dabei nicht um die Rettung einer Institution.

Heute Vormittag haben wir durch das Forscherkonsortium eine umfassende Präsentation bekommen. Die Auseinandersetzung mit den Ergebnissen und den Konsequenzen ist damit nicht abgeschlossen, sondern beginnt jetzt. Der Blick in die Vergangenheit war und ist notwendig, um jetzt entschlossen einen neuen Abschnitt zu wagen.

An dieser Stelle sage ich auch einen aufrichtigen Dank: Dem Forscherkonsortium, das sich dieser herausfordernden Aufgabe gestellt hat und all denjenigen, die das Projekt in den Bistümern unterstützt haben. Ich bin dankbar den Experten von außen, die dem Konsortium, aber auch uns geholfen haben, den Blick kritisch auszurichten. Es waren und sind Menschen, die wir um Rat bitten können, um Änderungen herbeizuführen. Und natürlich bin ich dankbar all jenen, die zum Gespräch bereit waren: Betroffene, Täter und unschuldige Priester.

Die Studie greift mit ihren Aussagen auch in eine weltkirchliche Debatte ein. Den Heiligen Vater habe ich über die Ergebnisse schon kurz informiert. Er hat die Vorsitzenden aller nationalen Bischofskonferenzen auf Empfehlung des C9-Rates für den Februar kommenden Jahres in den Vatikan eingeladen. Ich begrüße diesen Schritt außerordentlich. Zur Vertiefung der Debatte kann auch bereits die im Oktober in Rom tagende Weltbischofssynode zur Jugend beitragen. Ich werde – ebenso wie die anderen deutschen Synodenväter – auch dort das Thema des sexuellen Missbrauchs und die Erkenntnisse der Studie zur Sprache bringen. Das Thema darf bei der Synode nicht ausgeblendet werden.

Mit der Studie wird uns bewusst gemacht, dass wir den Kurs der Wahrhaftigkeit und unseren Einsatz für den Kinderschutz in der von Papst Franziskus vorgegebenen Weise fortführen und verstärken müssen. Um der Betroffenen willen. Um der Kirche willen. Und um einer neuen Vertrauensbasis und Glaubwürdigkeit willen.


Telefon- und Onlineberatung für Betroffene von sexualisierter Gewalt unter www.hilfe-nach-missbrauch.de
Telefonberatung: 0800/0005640 (anonym und innerhalb Deutschlands kostenfrei im Mobil- und Festnetz, verfügbar ab Dienstag, 25. September 2018, 11.00 Uhr, bis zunächst Freitag, 28. September 2018)


(Kardinal Marx bei Pressekonferenz zur Vorstellung der Missbrauchsstudie am 25.09.2018)