Impuls vom 08.04.2018
Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute
Zum (am 9. April 2018 veröffentlichen) Dokument von Papst Franziskus "Gaudete et exsultate – über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute" erklärt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx:
"Papst Franziskus hat heute das Apostolische Schreiben ,Gaudete et exsultate – über den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute‘ veröffentlicht. Dafür sind wir deutschen Bischöfe ihm sehr dankbar.
Im Zentrum der Überlegungen dieses Schreibens steht die Berufung aller Christen, ja letztlich aller Menschen, zur Heiligkeit. Das Kernanliegen von Papst Franziskus ist es dabei nicht, eine Abhandlung über die Heiligkeit mit Definitionen, Unterscheidungen, Analysen oder Normen vorzustellen. Vielmehr geht es ihm darum, die Christen angesichts der Welt von heute anzuhalten, auf den Ruf zur Heiligkeit zu hören. Dabei ermutigt er sie, Heiligkeit nicht nur als ein wirklichkeitsfernes Ideal der kanonisierten Seligen und Heiligen der Kirche zu betrachten, sondern sie in ihrem eigenen Alltag zu suchen, als ,Heiligkeit von nebenan‘ (Nr. 7). Es geht ihm, wie er im ersten Kapitel (‚Der Ruf zur Heiligkeit‘) verdeutlicht, darum, alle anzusprechen und einzuladen, alle zu ermutigen, sich auf den Weg zu machen. Dafür findet er auch sehr konkrete Beispiele, wenn er etwa in einem Gespräch beim Einkaufen oder in der Zuwendung zu einem Kind Wege der Heiligkeit ausmacht.
Aus dieser Einladung an alle ergibt sich in Konsequenz die Warnung des zweiten Kapitels (‚Zwei subtile Feinde der Heiligkeit‘), besonders elitäre Vorstellungen von Heiligkeit zu vermeiden, die Papst Franziskus bei manchen Katholiken als virulent betrachtet. Im Anschluss und unter ausdrücklichem Verweis auf das erst kürzlich von der Glaubenskongregation veröffentlichte Schreiben Placuit deo benennt der Heilige Vater diese beiden Strömungen des ,gegenwärtigen Gnostizismus‘ und des ,gegenwärtigen Pelagianismus‘. Mit diesem Bezug auf zwei schon altkirchliche Irrlehren hebt er auf einen überzogenen Intellektualismus und auf eine elitäre Vorstellung von der eigenen Willenskraft des Menschen ab. Heiligkeit, so macht er deutlich, ist weder ein intellektuelles Begriffsspiel, das die Welt vollständig erklärt, noch ist sie eine Leistung, die der Mensch aus eigenem Willen erbringen könnte, ohne sich der Gnade Gottes zu unterstellen.
Das dritte Kapitel (‚Im Licht des Meisters‘) besteht in einer Auslegung der ,Seligpreisungen‘ des Evangeliums, die zugleich das christliche Grundverständnis von Heiligkeit erläutert.
Im vierten Kapitel geht es darum, angesichts der Welt von heute einige Aspekte besonders hervorzuheben, ohne die das Bemühen um Heiligkeit nicht auskommt. Papst Franziskus nennt hier fünf Aspekte, beginnend mit ,Durchhaltevermögen, Geduld und Sanftmut‘, gefolgt von ,Freude und Sinn für Humor‘. Es schließen sich ,Wagemut und Eifer‘ an, dann ,Gemeinschaft‘ und schließlich das ,Gebet‘.
Das fünfte Kapitel (‚Kampf, Wachsamkeit und Unterscheidung‘) besteht in einer abschließenden Mahnung, die Gefahr des Bösen nicht außer Acht zu lassen und sich in der Spiritualität der Unterscheidung zu üben, um so in der konkreten Lebenssituation den rechten Weg der Heiligkeit zu finden.
Es fällt zunächst auf, dass auch im Titel dieses Schreibens wieder die Freude an erster Stelle steht. Die Freude ist ein stets wiederkehrendes Grundmotiv in den Lehrschreiben von Papst Franziskus. Bei allem Ernst der Themen geht es ihm dennoch unübersehbar um ein Christentum aus der Grundstimmung und Grundhaltung der Freude. Dazu möchte er anstiften – unter klarer Zurückweisung aller Verhärtung und Vergrämung. Freudig und humorvoll soll die christliche Botschaft als befreiend und erlösend erfahren und gelebt werden. In diesem Sinn steht dieses Apostolische Schreiben im Einklang mit der gesamten Verkündigung dieses Pontifikats. Papst Franziskus führt in großer Konsequenz seine Linie fort, die sich auch dadurch auszeichnet, dass er lehramtliche Definitionen und normative Entscheidungen nicht in den Vordergrund stellt. Es kommt ihm auch nicht auf eine normative Verbotsethik an, sondern auf eine appellative Tugendethik, oder, wenn man so möchte, auf eine ,Heiligkeitsethik‘, die mit allem Nachdruck dazu einlädt, das Gute im Geist Christi zu tun. Hinweise dafür schöpft er aus den Quellen christlicher Tradition: Augustinus, Thomas von Aquin, Ignatius von Loyola, aber auch viele andere werden zitiert. Dass eine solche Ethik alles andere als ein harmloses Sprechen im Konjunktiv ist, wird dem Leser von Gaudete et exsultate schnell deutlich.
Dazu zählt für Papst Franziskus auch der Einsatz für Arme und gegen jede Art von Egoismus und Individualismus. In klaren Worten fordert er eine Verantwortung für den Nächsten, den Ausgegrenzten, den Unterdrückten. Damit bekommt das Dokument auch eine starke sozialethische Perspektive. Beispielsweise schreibt der Papst mit Blick auf Migranten: ,Oft hört man, dass angesichts des Relativismus der Grenzen der heutigen Welt beispielsweise die Lage der Migranten eine weniger wichtige Angelegenheit wäre.‘ Ein Christ müsse sich aber in diejenigen hineinversetzen, ,die ihr Leben riskieren, um ihren Kindern eine Zukunft zu bieten‘.
Das Schreiben ist eine authentische Aufforderung von Papst Franziskus, voll Freude, Optimismus und Offenheit für Gottes Wort alles Mittelmaß hinter sich zu lassen und aufzubrechen. Dabei macht er deutlich, dass dies nur im Miteinander und im Zugehen auf die Mitmenschen möglich ist. Wer versucht, Gaudete et exsultate unter kirchenpolitischen Aspekten zu analysieren, geht mit Sicherheit an der Intention des Heiligen Vaters vorbei. Wer sich hingegen anstecken lässt, das eigene Leben zu überdenken und darin neu nach der Heiligkeit zu suchen, ist auf dem richtigen Weg."