Impuls vom 28.05.2015

Requiem für Bischof Manfred

"Der Herr ist aufgefahren – und ich bin immer noch da." Das sagte unser verstorbener Bischof Manfred vor wenigen Tagen am Fest der Himmelfahrt des Herrn. "Der Herr ist aufgefahren – und ich bin immer noch da."


Mit diesem Wort verrät er uns, wie bereit er war, aus dieser Welt hinauszugehen und hinüberzugehen zum Herrn, der ihm im Himmel eine ewige Wohnung bereitet hat.


Für diesen Umzug in die Ewigkeit war er nicht nur bereit, er wartete auf diese Stunde, ja er sehnte sie herbei.


Im letzten Abschnitt seines Lebens hat er gelernt loszulassen. Im Jahre 2002 hat er die Leitung des seiner Hirtensorge anvertrauten Bistums Regensburg abgegeben und den Hirtenstab seinem Nachfolger, Bischof Ludwig Gerhard übergeben.


Für die letzte Etappe seines irdischen Pilgerwegs vertraute er sich den Schwestern im Kloster Mallersdorf an. Mit viel Liebe betreuten ihn die Schwestern. Trotzdem erlebte er den beständigen Rückgang seiner Kräfte.


In den letzten Jahren war sein Leben ein ständiges Loslassen. Er erlebte, wie sein irdisches Zelt langsam, aber unaufhaltsam abgebrochen wurde. Schließlich musste er auch das Letzte hergeben, was ihm geblieben war, sein Leben- er hat es in Gottes Hände gelegt und ist damit dem Herrn gefolgt, der sterbend am Kreuz gebetet hat: "Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist" ( Lk 23,46).

Im Glauben wusste er, das ist nicht das Ende, sondern Anfang. Durch das Tor des Todes geht er ein in das Leben. So ist Bischof Manfred hineingestorben in die Arme des auferstandenen Herrn, wissend, jetzt beginnt das Leben in Fülle, das der Herr uns verheißen hat (Joh 10,10). Jetzt nimmt mich der Herr in seine eigene Auferstehung hinein. Jetzt darf ich auf ewig auferstanden mit Jesus beim Vater leben.

Diese letzten Jahre des Loslassens und des Hinübergehens zum Herrn waren zugleich die letzte Predigt, die er uns gehalten hat. Eine Predigt ohne Worte, gelebt im gläubigen Gehen zu Gott in die Ewigkeit. In dieser gelebten Predigt zeigt er uns, dass wir nicht uns selber gehören, sondern dem Herrn, im Leben und im Sterben, wie es der Apostel sagt: "Keiner von uns lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn" (Röm 14,7 f.). Alles, was uns die Welt zu bieten hat, ist zu wenig. Gott allein genügt. In ihm wird uns alles geschenkt.

Das Leben, das Bischof Manfred in der vergangenen Woche Gott zurückgegeben hat, begann am 15. November 1926 in Augsburg. Dort wuchs er auf in einer christlichen Familie. Doch schon während der Schulzeit zogen dunkle Wolken auf, die seine Jugend überschatteten. Zunächst breitete sich der Nationalsozialismus mit seiner gottfeindlichen Ideologie aus, gegen die er dank seiner katholischen Erziehung immun blieb. Doch dem Krieg konnte er nicht entrinnen. 1943 wurde er Luftwaffenhelfer, dann Soldat, geriet in englische Gefangenschaft und kehrte 1946 wieder in die Heimat zurück.


In München studierte er Theologie. 1952 wurde er zum Priester geweiht. Seine seelsorgliche Tätigkeit führte ihn zunächst nach Starnberg, dann nach Augsburg, nach Lindenberg und wieder zurück nach Augsburg. Durch all diese Stationen zog sich wie ein roter Faden der Religionsunterricht und die Sorge um die Erziehung der Jugend.


Manfred Müller war ein leidenschaftlicher Religionslehrer. Wie er mir einmal sagte, waren seine schönsten Jahre, die Jahre am kleinen Gymnasium in Lindenberg im Allgäu. Im hohen Alter war ihm noch ein Vers präsent, den er damals den Schülerinnen in ihr Album geschrieben hat: "Willst du glücklich sein im Leben, trage bei zu andrer Glück, denn die Freude, die wir geben, kehrt ins eigene Herz zurück."


Hier wird sichtbar, aus welchem Geist Manfred Müller die Jugendlichen unterrichtete und was er ihren Herzen einpflanzen wollte, selbstlose Liebe. Er hat aber auch anderes erlebt. Im Gymnasium in Augsburg, das er selbst besucht hatte, stürmten eines Tages die Schüler zum Religionsunterricht ins Klassenzimmer mit dem Kampfruf des Vietcong: "Ho Ho Ho Chi Minh". Aber der erfahrene Religionslehrer, damals bereits Fachberater für Katholische Religionslehre in Südbayern, wusste, wie er damit fertig werden konnte.
1972 wurde er ins Bischofsamt berufen und als Weihbischof an die Seite von Bischof Josef Stimpfle gestellt. Bei seiner Bischofsweihe wirkte als Mitkonsekrator Bischof Rudolf Graber mit, dem er später auf den Stuhl des hl. Wolfgang nachfolgen sollte.
Nach zehn Jahren berief ihn Papst Johannes Paul II. zum Bischof von Regensburg. Bischof Manfred ging auf die Menschen zu, zeigte ihnen, dass er für sie da ist und sie mag. Stets bemühte er sich, in seinem Bistum Frieden und Einheit zu wahren. Die Gläubigen sollten sich in der Kirche beheimatet fühlen. Als Steuermann im Schiff der Kirche von Regensburg hat er mit ruhiger Hand sein Bistum durch das Auf und Ab jener Jahre gelenkt.
Ein Herzensanliegen blieb ihm dabei auch in dieser Zeit der Religionsunterricht und die Erziehung der Jugend. Wichtig war ihm dabei stets auch die innere Einstellung der Religionslehrer an unseren kirchlichen Schulen. Die von ihm errichtete und nach ihm benannte Schulstiftung gibt davon Zeugnis. In der Deutschen Bischofskonferenz gehörte er der "Kommission für Erziehung und Schule" an, in der er über 10 Jahre den Vorsitz innehatte. Vier Jahre war er auch Präsident des Weltverbandes Katholischer Schulen. In unserem Land war er einfach der Schulbischof.

In seinem Bistum jedoch hatte er die Aufgaben des Hirtendienstes in seiner ganzen Breite wahrzunehmen. Dieses Arbeitsfeld ist weit gespannt. Doch was die Mitte all seines Tuns war, vertraute er mir einmal so an: "Ich habe mir immer wieder die Abschiedsworte des Apostels Paulus in Milet zu eigen gemacht: Ich will mit keinem Wort mein Leben wichtig nehmen, wenn ich nur meinen Lauf vollende und den Dienst erfülle, der mir von Jesus, dem Herrn, übertragen wurde: das Evangelium von der Gnade Gottes zu bezeugen" (Apg 20,24).


Diese Aufgabe brachte er auch in seinem Wahlspruch, der ihn seit seiner Bischofsweihe begleitete, zum Ausdruck: "Die Wahrheit in Liebe verkünden" (vgl. Eph 4,15). Worum es dabei geht, hat uns Papst Franziskus in seinem Schreiben "Die Freude des Evangeliums" wieder ins Gedächtnis gerufen. Ein Wort von Papst Johannes Paul II. aufgreifend schreibt er: "Die liturgische Verkündigung des Wortes Gottes, vor allem im Rahmen der Eucharistiefeier, ist nicht nur ein Augenblick der Erbauung und Katechese, sondern das Gespräch Gottes mit seinem Volk" (w. 137).

In dieses Gespräch muss sich einbringen, wer das Wort Gottes verkündet.


Er hat Gottes Wort zu überbringen, und das ist ein Wort, in dem Gott uns seine Liebe zusagt und schenkt. Dieses Wort des Evangeliums, die Wahrheit von Christus, kann darum nur in Liebe verkündet werden.


Auf dem Weg der Liebe kommt Gottes Wahrheit mit ihrem Licht und mit ihrer Wärme in unser Herz.
Darauf antworten wir mit unserem Glauben, der wiederum Ausdruck unserer Liebe ist. Darum geht es bei der Verkündigung des Wortes Gottes, um den Dialog der Liebe zwischen Gott und uns.


Diesem Dialog der Liebe wollte Bischof Manfred durch sein bischöfliches Wirken dienen. Das sagt er uns in seinem Wahlspruch: "Die Wahrheit in Liebe verkünden". "Denkt an eure Vorsteher, die euch das Wort Gottes verkündet haben- schaut auf das Ende ihres Lebens, und ahmt ihren Glauben nach!" (Hebr 13,7), heißt es im Hebräerbrief. Das heißt in dieser Stunde: Denkt an Bischof Manfred, der euch das Wort Gottes verkündet hat.

Seinen Wahlspruch hinterlässt er uns als Erbe, damit auch wir ihn übernehmen und die Wahrheit von Jesus Christus in Liebe verkünden.


Dieses Erbe hinterlässt er nicht nur uns Bischöfen, den Priestern und Diakonen, die wir mit dem Amt der Verkündigung betraut sind, dieses Erbe ist allen zugedacht. Denn wir alle, ohne Ausnahme, sollen die Wahrheit in Liebe verkünden, mitwirken am Dialog Gottes mit seinem Volk. Wenn die Mutter ihrem Kind von Jesus erzählt, ihm die Hände faltet und mit ihm betet, dann ist auch das Dialog der Liebe Gottes mit diesem Kind.

Mit seinem Wahlspruch legt uns allen unser heimgegangener Bischof seinen Nachlass ans Herz, die Wahrheit von Jesus Christus in Liebe zu verkünden und so Gottes Liebe zu den Menschen zu tragen.
Amen.



(Predigt von Friedrich Kardinal Wetter beim Requiem für Bischof em. Manfred Müller am 28. Mai 2015 im Dom zu Regensburg)